Das Lotterleben der Pinguine

Liebe gegen Bezahlung

Quelle:
http://www.berliner-morgenpost.de/archiv1998/980227/aus_aller_welt/story182735.html

Original von:
Berliner Morgenpost 1998

BM/SAD London - Das älteste Gewerbe der Welt gibt es nicht nur beim Homo Sapiens. Liebe gegen Bezahlung kommt auch im Tierreich vor. Bei einem Forschungsprojekt der Universitäten Cambridge (England) und Otago (Neuseeland) in der Antarktis haben Zoologen erstmals Pinguin-Weibchen beim Fremdgehen zum "Anschaffen" beobachtet und gefilmt.

Die Weibchen ließen sich von Junggesellen für amouröse Dienstleistungen bezahlen. Das Zahlungsmittel: Das Kostbarste, was es für Pinguine gibt - kleine Steinchen für den Nestbau, die sehr schwer zu finden sind.

Die Zoologin Dr. Fiona Hunter aus Cambridge und ihr Kollege Dr. Lloyd Davis beobachteten dieses "unmoralische" Verhalten der Vögel auf Ross Island, 1300 Kilometer vom Südpol entfernt. Sie berichteten darüber in der jüngsten Ausgabe der Fachzeitschrift AUK.

Die Weibchen, so stellten die Wissenschaftler fest, legten sich nicht etwa einen "Liebhaber" zu. Sie verkauften knallhart Sex für die härteste "Währung" im Reich der Pinguine. Immerhin waren sie so taktvoll, ihre Spritztouren zum "Anschaffen" in die Zeit zu verlegen, in der ihre Männchen zum Steinesuchen oder Jagen unterwegs waren.

Dr. Hunter zufolge kommt es zum Beginn der Brutzeit zu der "Extra-Paar-Kopulation", wie das Phänomen wissenschaftlich genannt wurde. Die Pinguine bauen in dieser Zeit möglichst hochgelegene Nester auf einer sicheren, trockenen Anhöhe für die Eier. Haben sie genug gefrorenes Geröll gesammelt, versuchen sie, mit ihren Schnäbeln die Steinchen für den Nestbau herauszupicken, eine mühsame und langwierige Arbeit. Die Steinchen sind so wertvoll, daß sie immer wieder gestohlen werden. Die Weibchen haben eine zweite Strategie entwickelt.

Dr. Hunter: "Die Weibchen sind darauf gekommen, daß man auch gegen Liebesdienste als Bezahlung an Steinchen aus fremden Nestern kommen kann. Sie stehlen sich von ihrem Nest weg und watscheln zum Nest eines Junggesellen. Dann beginnt das Werbungsritual. Das Weibchen signalisiert Interesse an Sex durch Neigen des Kopfes und verstohlene Blicke aus dem Augenwinkel. Zeigt sich das Männchen interessiert, streckt sich das Weibchen der Länge nach auf dem Boden aus, in der Sprache der Pinguine eine Einladung zur Paarung. " Kaum ist der "Liebesakt" vorbei, nimmt das Weibchen den "Sündenlohn" in Empfang, ein Steinchen, und trägt es zu ihrem eigenen Nest hinüber. Manchmal sind die "Kunden" so zufrieden, daß die "Ehefrauen" sich noch ein paar Steinchen abholen dürfen, ohne daß die Beglückten auf "Bezahlung" bestehen.

Es kam auch vor, daß einsame Männchen schon zahlungsbereit waren, wenn ein Weibchen ihnen schöne Augen machte. Die beiden Zoologen beobachteten ein Weibchen, das sich auf die Kunst der Verführung so gut verstand, daß es 62 Steinchen von Junggesellen einheimste, ohne auch nur ein einziges Mal dafür mit der eigenen Haut herhalten zu müssen. Eine Pinguin-Eva, die bei den verliebten Männchen einen "Stein im Brett" hatte.

Die Wissenschaftler gehen bei der Auswertung ihrer Beobachtungen einen Schritt weiter mit der Frage, ob die "Hurerei" bei Pinguinen womöglich für die Erhaltung der Art von Nutzen sei. Ein Männchen verliert zwar einige seiner Steinchen, erhöht aber seine Chance, sich wenigstens "außerehelich" zu vermehren. Das betrogene Männchen weiß nicht mit Sicherheit, von wem die Eier sind, die seine Nestpartnerin legt.

Dr. Hunter spekulierte: "Vielleicht ist das Weibchen nicht nur hinter den Steinen her, vielleicht paart es sich mit einem zusätzlichen Männchen auch, um die Qualität oder die genetische Variabilität zu verbessern. "

Eine weitere Vermutung: Die kluge Frau baut vor - auch bei Pinguinen. Sie lacht sich schon einen neuen Partner für die nächste Brutzeit an für den Fall, daß ihr "Alter" vorher gefressen wird oder tödlich verunglückt. Das Liebesleben der Pinguine ist so kompliziert, daß die beiden Wissenschaftsvoyeure ein zweites Forschungsprojekt in der Antarktis planen.