Eine seltsame Stute

(Zoo filly)

 

Eine weitere frei erfundene kurze Geschichte von Dobbin

Juli 1996

 


 

Es ist schon bald Mitternacht, aber es ist eine helle Nacht. Am wolkenlosen Sommerhimmel leuchtet  eine endlosen Kaskade glitzernder Sterne. Es ist fast windstill.

 

Fast alle von meiner Herde schlafen oder grasen auf der unteren Weide. Ich stehe alleine, bei der großen Hecke am Ende der oberen Weide... und grüble.

 

Die anderen haben mir oft vorgeworfen, ich sei eine „Denkerin“. Die anderen Stuten beschweren sich, daß ich nicht viel spiele und mich abseits halte, besonders, wenn sie mit den Hengsten auf der Weide unten am Hof flirten.

 

Die glauben ich sei schüchtern... die haben ja keine Ahnung!

 

Sie glauben auch ich sei ein wenig seltsam... Ich lasse sie wohl besser in diesem Glauben.

Ich bin anders. Ich bin wirklich eine seltsame Stute.

 

Ich blicke minutenlang in die Sterne und suche nach einer Antwort, aber es sie schweigen.

 

„Warum fühle ich so, wie ich fühle? Warum bin ich so... so... abartig, schrecklich und unnatürlich?“

 

Ich warte noch etwas, aber die Sterne scheinen mir wirklich nicht helfen zu wollen. Niemand hilft mir. Na ja, vielleicht kann das auch gar keiner.

 

Ich stampfe auf den Boden. Und dieser abgehobene analytische Teil meiner selbst steht daneben und sieht mir zu, wie meine Stimmung wild hin und herschwingt, wie ein Zweig im Sturm.

 

Ja, wie in Zweig im Sturm... der kurz davor ist zu brechen.

 

Ich knirsche vor Ärger mit den Zähnen und schluchze dann leise vor mich hin. Ich darf nicht zeigen, wie ich leide.

 

 Wieder ein Stimmungsumschwung... wieder beinahe vom Wind umgeblasen.

 

Ich setze mein „ich-bin-verrückt-geworden“ -Gesicht auf.

 

Dann ein kurzes und bitteres Lachen.

 

In meinem  Kopf steigen wieder diese schrecklichen Gedanken auf, ich sehe diese Bilder, Bilder von mir, zerschmettert. Ich sehe mich vor meinem inneren Auge, wie ich absichtlich über den Zaun springe, wenn dieser große Lastwagen vorbeifährt. Ja, ja, ich sehe mich, ich sehe, wie ich zerrissen werde, zerbrochen. Ja, und verdammt, ja, ich kann diesen Ausdruck auf meinem Gesicht sehen... So eine fürchterliche Qual, aber welch eine Erleichterung.

 

Einfach tot sein, und nicht mehr gezwungen sein mit mir selbst leben zu müssen.

 

Ich wühle mich durch diesen Morast in meiner Seele, drehe und wende diesen Gedanken, bis ich nicht mehr sagen kann ob ich das wirklich gedacht habe oder nicht.

 

Doch ich habe es gedacht und genau das ist es, was getan werden muß.

 

„Ich werde mich umbringen.“, sage ich. Dabei stampfe ich mit meinem Huf auf und sehe wohl sehr selbstsicher aus. Aber ich fühle, wie meine Beine weich werden.

 

„Ich... werde mich umbringen.“, sage ich wieder, nur um ganz sicher zu sein, daß ich weiß, was ich da sage.

 

Ich glaube, ich fühle mich jetzt besser. Es tut gut es zuzugeben; mir einzugestehen daß ich vom Bösen besessen  bin und den Tod verdiene.

 

Ich wandere auf diesem einsamen Ende der Weide so ungefähr eine Stunde herum, überprüfe meine Entscheidung noch einmal und komme dann doch zu einem anderen Schluß. Ich denke ich könnte es jetzt vielleicht jemanden  erzählen; aussprechen, welche Gefühle ich für Justin hege, unseren Pfleger. Ich glaube ich erzähle es Honey, sie ist die einzige Stute, die ich wenigsten halbwegs mag, sie scheint nett zu sein, wenigstens zieht sie mich nicht ganz so sehr mit meiner angeblichen Verklemmtheit auf.

 

Ja, ich glaube, ich vertraue ihr mein Geheimnis an, in dieser Nacht, und dann bringe ich mich bei dem Ausritt morgen früh um... Hmm, ich halte ein, und sehe mir diesen letzten Gedanken noch einmal an, staune über seine Atmosphäre, seine Untertöne. Ich schüttle meinen Kopf, lächle ein dunkles, hoffnungsloses Lächeln und mache mich auf den Weg Honey zu suchen.

 


 

„Oh, hallo Galaxy.“, Sie schaut vom Grasen auf und lächelt mich an.

 

„Honey, ich muß mit dir reden.“, sage ich kühn (obwohl man mir meine Nervosität wohl anmerkt).

 

„Ja...ok.“ sie schaut ein bißchen besorgt... nein, wohl nur erstaunt, denke ich.

 

Ich gehe in Richtung meiner dunklen Zuflucht, bei der großen Hecke da oben, „laß uns dahin gehen, komm.“ Sie folgt mir. 

 


 

Wie wir dort angekommen sind stehen wir vielleicht eine Minute schweigend. Das ist jetzt nicht einfach. Ich weiß gar nicht wie ich darauf gekommen bin, daß das jetzt eine so gute Idee wäre. Ich beginne mich zu fragen, ob es nicht besser wäre ihr zu sagen, sie soll das Ganze vergessen.

 

„Was ist los?“ fragt sie. „Du bist ja ganz durcheinander, Galaxy.“

 

Ich schaue vom Boden hoch und ihr für einen Moment in die Augen. „Durcheinander?“. Ich schaue wieder auf den Boden und muß kichern. „Da magst du wohl recht haben.“

 

„Also komm, was ist denn los?“

 

„Ich bin los.“ Oh verdammt, es ist aber auch wirklich so schwer!

 

„Was meinst du damit? Bist du krank?“

 

Ich lache laut auf, setze mein „verrückt-geworden“ -Gesicht wieder auf und grinse „Jo!“ Morgen ist sowieso alles vorbei.

 

„Galaxy“ fragt sie gequält, „was stimmt mit dir nicht?“

 

Aaaakk! Das war zuviel! Jetzt muß ich gleichzeitig lachen und weinen. Ich glaube ich falle gleich um, ich bekomme keine Luft mehr.

 

„Ich... kann nichts dagegen tun!“ schluchze ich. Sie kommt ganz nah an mich heran preßt sich an mich: „Wogegen kannst du nichts tun Galaxy, komm, sprich es aus, was ist das Problem?“

 

„Ich... ich liebe ihn, ähh, verdammt, ich will ihn.“

 

„Oh“ seufzt sie „Hengstprobleme was, laß das...“

 

Ich wirble herum und schlage nach ihr aus.

 

„NEIN!“, schreie ich, „nein du blöder Idiot, eben NICHT Hengste, das ist es ja eben ich liebe Justin, ich liebe ihn und ich begehre ihn so. Und ja, ich weiß daß ich blöd und schlecht und pervers bin aber ich kann nichts dagegen tun. Aber überhaupt, morgen ist sowieso alles vorbei, weil, ich werde mich... ich werde mich, ach du wirst schon sehen. Morgen.“

 

Ich schaue auf den Boden, schließe die Augen und zittere, ich würde davongaloppieren, aber meine Beine gehorchen mir nicht mehr.

 

Lange bleibt es still. Alles was ich höre ist, wie das Blut in meinem Kopf rauscht und mein eigener keuchender Atem.

 

Sie seufzt lange und wahrscheinlich holt sie jetzt zum tödlichen Schlag aus.

 

„Aber warum hast du mir das nicht vorher erzählt, Galaxy?“

 

Ich antworte nicht.

 

„Schau mal, du kennst doch Poppy, die etwas leichtlebige Poppy? Ja?  Nun sie hat mir mal die Geschichte erzählt, als sie, du weißt schon, in der Stimmung war und Justin sie in ihrer Box gestriegelt hat, ganz alleine, wie sie ihn angemacht hat.“

 

„Na ja, wahrscheinlich hat sie es für einen Witz gehalten, aber er war auf einmal ziemlich interessiert und Poppy ging auf, daß sie da etwas angefangen hatte, was sie nicht zu Ende führen wollte, und so hat sie ihn abblitzen lassen.“

 

Ich sehe sie an und bin mir nicht ganz sicher ob ich die Geschichte glauben soll, und was ich davon halten soll weiß ich erst recht nicht. Sie hebt ihren Kopf wieder in meine Richtung und fährt dann fort:

 

„Hmm, ok. Angel hast du nicht mehr gekannt?“

 

Ich zeige ihr durch meine Körperhaltung ein „Nein“.

 

„Sie ist schon vor vier Jahren gestorben, sie war wohl alt. Weißt du, wir haben uns oft gefragt was mit ihr los ist, sie war richtig hübsch und auch bei den Arbeitssachen war sie gut, so springen und das alles. Aber sie wurde nie mit einem Hengst zusammengebracht. Justin und sie haben viel Zeit miteinander verbracht... alleine. Er hat sie immer so nett behandelt, selbst wenn andere Leute dabei waren hat er sie umarmt und auf die Lippen geküßt. Er war völlig am Boden zerstört, als sie starb. Aber das ist jetzt schon lange her, vielleicht könntest du ja...“

 

„Was? Wirklich, meinst du...?“

 

„Ja, warum nicht, los komm, Galaxy, wenn du sagst daß du ihn so begehrst, dann versuche es doch einfach. Was immer du meinst, daß du morgen tun willst, ich glaube nicht, daß es eine Lösung ist.“

 

„Glaubst du den nicht auch, daß ich böse bin?“ Tränen tropfen von meinen Wangen.

 

„Nein, natürlich nicht.“ sagt sie und grinst mich an, „ich glaube allerdings, daß du ziemlich seltsam bist! Ich weiß zwar nicht, was an Männern attraktiv sein soll, und ich kann dir das nicht nachfühlen, aber was soll’s... jedem Tierchen sein Pläsierchen oder?“

 

Ich stehe einfach nur da und bin vollkommen aus der Fassung.

 

„Schau, ich erzähle keinem was, wenn du das nicht willst. Aber ich glaube, du wirst sehen, den meisten ist das sowieso ziemlich egal.

 

„Nun denn, mein Rat ist: wenn du ihn liebst, dann liebst du ihn. Was ist daran schlimm? Und wenn du ihn begehrst, dann solltest du besser hingehen und ihn dir nehmen.“

 

„Aber, wenn er nicht will?“

 

„Also, darüber, unterhalten wir uns dann später, ja? Aber ich glaube du wirst überrascht sein... er hat mich eins zwei mal, äh, berührt, muß ich zugeben.“

 

Ich gehe zu ihr, umarme sie mit meinem Hals und ein dickes dummes Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus.

 

„Du hast mir das Leben gerettet.“

 

„Ach halt bloß den Mund, du Verrückte!“ 

 


 

Ja, so war das. Ich habe jetzt erkannt daß ich mich viel zu sehr gehaßt habe, als daß ich mir den Gedanken erlaubt hätte, es könne für mich eine Hoffnung geben.

 

Aber die gibt es.

 

Ich denke oft zurück, in Momenten wie diesem. Ich denke an die Zeit zurück, wie ich mit allem uneins war. Ein melancholischer Rückblick, aber jetzt ist alles gut.

 

Wir liegen hier zusammen, nackt im Heu, Justin und Ich. Ich fahre mit meiner Nase durch seine langen Haare. Er schläft. Ich muß leise lächeln, wie ich ihn da so schlafen sehe... Mein armer Geliebter, ich habe ihn erschöpft. Oh ja, ich kann jetzt sehr gut über mich selber lächeln.

 

Ich denke an all die Bitterkeit und den Selbsthaß vergangener Tage. All das habe ich hinter mir gelassen, und gewonnen habe ich Liebe, Glück und Stolz.

 


© Dobbin im Juli 1996

Übersetzt von Michael