Wenn Hunde zu sehr lieben

Alles über den besten Freund des Hundes: seinen Halter

Von Ulla Fölsing

 


Marjorie Garber ist Literaturprofessorin an einem Harward-Studiencenter und hat drei Hunde: Nietzsche, Wagner und Yofi. Sie hält die Liebe zum Tier für eine emotionale Leistung.

"Zu Hause ist, wo der Hund ist", schreibt Marjorie Garber. Von Beruf Literaturprofessorin an einem Harvard-Studiencenter, ist die Amerikanerin privat Hundenärrin und stolze Besitzerin von mehreren Golden Retrievern. Ihrer kynologischen Neigung hat sie jetzt mit berufsbedingter Belesenheit und der Eloquenz der chattering class nachgespürt. Das Resultat: ein dickes, etwas verblasenes, stellenweise schlampig übersetztes Buch über "Die Liebe zum Hund" und die emotionalen Wurzeln dieser Beziehung, alles in allem ein buntes Mosaik aus Zitaten und Kuriositäten. Zum Titel passen Kind und Hund in anrührender Pose auf dem Schutzumschlag, Hundevignetten am Eingang der Kapitel sowie Pfotenspuren auf den Seitenrändern.

Die Machart ist nicht neu. Nach dem nüchternen Pragmatismus von Pflege- und Zuchtanleitungen und der kuscheligen Sentimentalität von Erlebnisberichten hat nun die Frage nach der Rolle der Vierbeiner in der Skala menschlicher Bedürfnisbefriedigung Hochkonjunktur. Dabei mehren sich die Stimmen, die die Liebe zum Hund als kitschige Fiktion anprangern, weil der Hund nur mehr als Partnerersatz und Psychokrücke diene.

Marjorie Garber schlägt mildere Töne an. Sie hält die Liebe zum Hund nicht für ein Symptom seelischer Verarmung, sondern, im Gegenteil, für eine emotionale Leistung. Für sie ist diese Zuneigung keine Ersatzhandlung. Die oft komisch obsessive Beschäftigung mit Hunden in unserer Kultur scheint ihr sinnvoll. Denn den Hunden verdankten wir es, daß wir Gefühle höchster Freude und tiefsten Kummers zulassen könnten: "In diesem Sinne möchte man beinahe die Behauptung wagen, daß der Hund es ist, der uns zum Menschen macht." Unser Umgang mit Hunden bezeichne den gegenwärtigen Zustand menschlichen Lebens und Liebens, behauptet die Autorin. Der Hund diene als Projektionsfläche.

Früher hieß das: Des Menschen bester Freund sei der Spiegel seiner Neigungen und Gefühle. Schon die romantischen Dichter und die viktorianischen Maler stilisierten Hunde zu ausgereiften Persönlichkeiten mit unzweifelhaft menschlichen Qualitäten wie Treue, Verantwortungsbewußtsein, Dankbarkeit und Geduld, Loyalität, Mut und Mitleid.

Wer zu ergründen versuchte, was in den Gemütern von Vierbeinern vor sich geht, hat seit jeher von seinen eigenen Gefühlen gesprochen. Garber durchmustert fleißig und ohne Qualitätsansprüche den gesamten Kanon einschlägiger Literatur bis hin zum Trivialroman. Sie dreht auch Wissenschaftliches jedweder Couleur durch die Textverarbeitung, dazu Kinofilme, Fernsehserien, Werbespots und die vermischten Seiten aus der Tagespresse.

Munter bellen Argos, Boatswain, Flush, Bauschan, Buck und Millie Bush neben Rintintin, Lassie, Snoopy, Laika und Fay Ray. Seite an Seite argumentieren Shakespeare, Dickens, Kafka, Shaw, Twain, Steinbeck, Maeterlinck und Thurber mit Descartes, Darwin, Freud, Jung und Coren. Als wären sie allesamt im Hundeverein, engagieren sich Virginia Woolf, Emily Dickinson, Evelyn Waugh und Thomas Mann, Jack London, Agatha Christie, Stephen King und Faith Popcorn. Überraschende Funde in diesem Ambiente Zbigniew Herbert, Milan Kundera und Mikhail Bulgakow, ganz zu schweigen von dem altehrwürdigen John Caius: Der Mitbegründer des Conville und Caius-College an der Universität Cambridge schrieb seine berühmte Abhandlung über Hunde 1570 auf Lateinisch und 1576 in der Englischen Fassung.

Vermutlich für die Fachkollegen läßt sich Marjorie Garber über die literarische Anatomie von Hundegeschichten aus. Was sie als "Pikareske", "Wordsworthsche" und "Dickenssche Form" der Hundebiographie an Beispielen erläutert, klingt enorm gelehrt. Der Rest ist Hunde- und Menschenalltag: Kosten und Aufwand für die Hundehaltung, Ärger mit Gesetzesvorschriften, Rassismus in der Zucht, Kummer, Verzweiflung und Trauerarbeit beim Verlust eines Mitlebewesens.

Auch Delikates kommt zur Sprache. Unter dem seltsamen Titel "Sexualität und der alleinstehende Hund" referiert Garber getreulich, was der Holländer Midas Dekkers über die sodomitischen Beziehungen zwischen Menschen und Hunden herausgebracht hat und was der legendäre Alfred Kinsey dazu von seinen amerikanischen Mitbürgern erfragte. Kinsey, von Haus aus Zoologe und Gallwespen-Spezialist, fand es völlig glaubhaft, daß sich ein Mensch leidenschaftlich in seinen Hund verlieben kann und daß die Zuneigung in gleichem Maße erwiedert wird.

Die Beliebtheit des Hundes war unter Frauen noch auffälliger als unter Jungen und Männern. Von den Frauen, die Kinsey und seinen Mitarbeitern erzählten, daß sie mit einem Tier sexuelle Kontakte gehabt hätten, behaupteten nahezu Dreiviertel, daß ihr Partner ein Hund gewesen sei. Zum sexuellen Szenario "Frau und Hund" hat Garber natürlich auch passende pseudoliterarische Varianten parat – etwa Xaviera Hoffanders Bestseller "The Happy Hooker" von 1972, in dem sich die Erzählerin mit einem Deutschen Schäferhund einläßt.

Nicht jeder Hundefreund ist erpicht auf Erotisches. Den meisten würde es schon reichen, wenn ihr Vierbeiner reden könnte. Den Wunsch nach mehr als der Hundeschwanzsprache klassifiziert Marjorie Garber allerdings gnadenlos als Narzißmus: "Wenn ein Hund sprechen könnte, was würden wir denn gerne von ihm hören? Schätzungsweise: Ich liebe Dich! Oder: Danke schön! Oder: Gibt's was, was ich heute für Dich tun kann?" Garber meint nüchtern, daß wir Hunde eben deshalb liebten, weil sie nicht sprechen. Das klingt merkwürdig plausibel.

Nicht zuletzt die Hundenamen sind eine vergnügliche Spielart von Projektionen. Vor der ist auch Marjorie Garber nicht gefeit. Am Schluß des Buches dankt sie ihren eigenen Hunde. Diese tragen die Namen Nietzsche, Wagner und schließlich Yofi, benannt nach Sigmund Freuds geliebtem Chow-Chow, der während dessen Analysestunden am Fuß der Couch zu sitzen pflegte. Die Namensgebung illustriert, was am Harvard Square für Hunde schick ist, und zeigt zugleich den Blickwinkel, aus dem die Autorin Hunde betrachtet. Mit Familien-, Wach- und Gebrauchshunden hat ihr Buch denn auch kaum zu tun.
 

Marjorie Garber:
Die Liebe zum Hund
Beschreibung eines Gefühls;
Aus dem Amerikanischen von Hans Voges;
S.Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1997;
400 S., 44,- Mark

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Die Liebe zum Hund.
Ulla Fölsing
Rezension aus Die Zeit 11/97