Wiedergeburt

von Isländer


Seine Offenbarung kam als Schock... die Menge, gerade eben noch jubelnd und rufend unter ihm war verstummt.

Stille legte sich über den großen Platz, auf dem Hunderte, viele Hunderte Menschen zusammengekommen waren, um ihr Idol zu feiern. Nun waren sie ruhig. Er stand oben, auf dem Balkon. Seine Herz raste, ihm schwindelte. Seine Hände hatten sich fest um das Geländer gekrallt, um das Zittern zu unterdrücken. Die Knöchel waren unter der Haut wie weiße Dornen zu sehen, und er glaubte bereits unter seinem Griff den Stein knirschen zu hören.

Doch dies war nur Einbildung, und egal wie stark sein Griff war, er reichte nicht, das Zittern seiner Hände zu vertreiben. Er hatte es getan. Er hatte es gesagt, die Wahrheit herausgeschrien vor all diesen Leuten. Er hatte es gesagt, und was auch immer geschah würde geschehen, denn Gesagtes lässt sich nicht ungesagt machen. Sein Zug war damit beendet. Die wartende Menge war an der Reihe, den ihren zu tun...

Er fürchtete sich davor, vor dem was die Menschen sagen, was sie tun mochten. Gleichzeitig fühlte er sich befreit, denn er war aus dem Schatten ins Licht getreten, hatte jenen die Bürde vor die Füße geworfen, die sie ihm aufgebunden hatten.

Oh, sie hatten es nicht gewusst, das ist wohl wahr. Aber allein ihre Anwesenheit, ihre Präsenz, ihr Dasein. Die Furcht vor dem, was passieren möge, wenn sie es erführen war eine unglaubliche Last für seine Seele gewesen. Früher... früher hatte es ihn nicht gekümmert, aber je mehr man im Licht der Öffentlichkeit steht, desto mehr wird man süchtig danach. Man braucht die Bestätigung der Leute, das Gefühl, dass sie dich lieben, dich verehren. Als er anfing, berühmt und geachtet zu werden wuchs auch der Druck an, die Angst vor der Enthüllung. Die Angst alles Erreichte zu verlieren, weil es jemand durch Zufall bemerkte...

Gestern hatte er sich entschieden. Er wollte zu dem stehen, was er ist. Wollte klare Grenzen ziehen. Selbst wenn er danach in der Vergessenheit verschwand, er würde frei sein, endlich wieder frei! Ein Raunen und Flüstern ging durch die Menge, als hastig gezischte Gespräche begannen. Es wurde lauter, aggressiver. Erste Schmährufe wurden laut, aber auch hier und da vereinzeltes Klatschen. Der Großteil der Menge blieb jedoch erstaunlich ruhig. Langsam jedoch nahm die Abneigung zu, die unentschlossenen schwammen mit dem Strom, die, welche ihn verstanden wurden übertönt, gingen im Chor der Menge unter wie ein Sandkorn in der Wüste der Ewigkeit.

Aus Respekt wurde Verachtung, aus Ansehen wurde Abneigung, aus Liebe wurde Hass. Zuvor gefeiert, nun verschmäht stand er vor Ihnen, als die ersten Steine flogen. Geschleudert von Menschen, die aus Vorurteilen und Unwissen bestehen. Menschen, die nicht wissen wollen, was er gesagt hat, die nur hören, was sie hören wollen und sehen, was sie sehen wollen. Seltsamerweise fühlte er sich immer noch frei und erleichtert. Da traf ihn ein besonders scharfkantiger Stein an der Stirn, und er ging zu Boden. Der Schmerz wirkte seltsam fern, als ob es gar nicht wirklich sein eigener wäre, warmes, rotes Blut lief über sein Gesicht und seine Lippen, die immer noch lächelten. Er würde sterben, das war ihm klar. Gestorben durch die Hand derer, die nicht verstehen wollen aber in der Gewissheit, ein aufrechter Mann gewesen zu sein. Die Laute der Menge änderten sich, das Geräusch wurde ein anderes, die Welt erlosch langsam um ihn herum. Schwärze hüllte ihn ein.

Er sah an sich herunter, ein leuchtend blauer Geist in der Schwärze des Todes, umspielt von dem Geräusch, welches weiter anschwoll. Hufgetrappel! Sie kamen, sie kamen um ihn zu holen! Hufgetrappel, laut und donnernd, allmächtig wie die Stimme Gottes, machtvoll und berauschend, stürmisch und wild füllte seine Sinne, ließ die Schwärze erbeben und seinen Körper vibrieren. In der Ferne tauchte ein leuchtend blauer Punkt auf, der rasch anschwoll, näher kam. Und immer noch wurde der Ton vieler, vieler Hufe lauter und lauter.

Es waren Pferde! Hunderte, Tausende, Millionen von durchscheinenden, blau leuchtenden Pferdeleibern, die auf ihn zugaloppiert kamen. Die Pferde, die er über alles liebte. Sie umspülten ihn, umdrängten ihn. Er fühlte, wie sie sich an ihm entlang schoben, wie sie ihn berührten. Er fühlte Ihr Fell, roch Ihren Duft und wusste, dies musste der Himmel sein. Es dauerte nur Minuten, doch diese Minuten erfüllten ihn mit einer Zufriedenheit, einer vollkommenen Losgelöstheit, die er sich nicht einmal vorzustellen gewagt hatte. Er war froh, dass sein Dasein auf Erden vorbei war, er nun endlich mit seinen Lieblingen zusammen sein konnte. Er fühlte sich wie im Rausch, lachte und konnte gar nicht genug davon kriegen, diese Pferde zu berühren, zu erleben...

Dann waren sie vorbei. Er war wieder allein. Enttäuscht blickte er der in der Ferne verschwindenden Herde nach, wünschte sich, selbst erleben zu können wie es ist, ein Pferd zu sein. Frei zu sein! In einer Herde leben, mit ihr über weite Wiesen zu tollen... einfach ein Pferd sein. Hinter ihm erklang wieder Hufgeräusch, aber nur vereinzelt. Er drehte sich um und sah das schönste Pferd, welches er je erblickt hatte langsam auf ihn zukommen. Wie die anderen war auch diese leuchtend blau und leicht durchscheinend, seine Konturen von kleinen Sternen umgeben, die in ihrem verspielten Tanz immer wieder durcheinander wirbelten. Es war ein wundervolles Pferd, einfach perfekt. Die Verkörperung all dessen, wofür das Pferd steht, von Freiheit und Eleganz, von Kraft und Anmut. Es stand einfach nur da und sah ihn an, und er sah dem Pferd in die Augen. Bilder rasten durch sein Bewusstsein. Bilder einer entlegenen, felsigen Insel. Bilder einer Insel aus rauher Schönheit. Bilder von Pferden, die auf den Hängen erloschener Vulkane grasten. Doch auch Bilder von Kälte, von Sturm und Wind, von Entbehrungen und Eis.

Am Ende erscholl eine überirdisch schöne Stimme, die nur vier Worte sagte "Bist Du bereit dazu?"

Und er sagte "Ja"

Das Pferd drehte sich um und verfiel in einen leichten Trab, und er folgte ihm, bis nach einer Weile vor ihm wiederum ein helles Licht auftauchte. Es war warm und schwül geworden, um ihn herum. Das Pferd wieherte leise und deutete mit dem Kopf in Richtung des Lichtes, und er lief los, sprintete, lief wie um sein Leben.

Er erreichte das Licht, hechtete hindurch und... Fand sich auf nasser, kalter Wiese wieder. Inmitten von Pferden und noch nass von der Geburt. Er sah an sich herunter, sah das Fell, sah die Hufe und ein Gefühl höchsten Glücks durchströmte ihn, als seine Mutter begann, ihn zu säubern.

Dann erlosch das bewusste Denken des Menschen, der er gewesen war und veränderte sich, passte sich dem Körper an, der ihm gegeben wurde... Eine zweite Chance, eine Chance auf das Leben, welches er immer gewollt hatte, aber nie haben konnte.